Rucksacklauf
Es ist durchaus schwer eine Region zu finden, die so viele Langlaufkilometer in einem solch abwechslungsreichen Terrain vereint, wie der Hochschwarzwald. Die Loipen, die mit Herz und Seele von den Gemeinden gepflegt werden, warten neben flachen Abschnitten immer wieder mit giftigen Anstiegen und rasanten Abfahrten auf. Dem Langläufer bietet sich ein landschaftlicher Hochgenuss mit Abschnitten durch tiefe, dichte Nadelwälder sowie über verschneite Bergwiesen mit fantastischen Ausblicken in weite Täler und winterliche Mittelgebirgsrücken. So verwundert es kaum, dass der Genuss- und Spitzensport schon früh in der Geschichte des Wintersports genau hier seine Sporen gesät hat.
Aber wie verrückt muss man sein, um in diesem Gelände auf dünnen Langlauflatten an einem 100km-Skirennen teilzunehmen, bei dem es über 2300 Höhenmeter zu überwinden gilt?

Ein Abenteuer, das nach wie vor seines Gleichen sucht und bereits vor über vierzig Jahren begeisterte Anhänger fand. Ein Wettkampf, der auch heute noch von Legenden umrankt ist und jedes Jahr erneut eine Zitterpartie darstellt. Mit Langlaufskiern von Schonach zum Belchen – das bedeutet hundert Kilometer eisige Kälte, Verzweiflung, Durchhaltevermögen und einen Pioniergeist, den man so höchstens von den alten Entdeckern kennt. Die Teilnahme am letzten großen Abenteuer im Schwarzwald ist nur schwer in Worte zu fassen. Das Gefühl ein Finisher zu sein – unbeschreiblich.
Jedes Jahr im Februar zittern erneut hunderte von Teilnehmern aber nicht nur vor Kälte.
Es ist ebenso das Bangen, ob der Rucksacklauf überhaupt stattfinden wird. Bei einer Distanz von hundert Kilometern in einer Höhenlage zwischen 880 und 1450 M. ü. NN, braucht es einen ordentlichen Winter.
Seit 2017 haben sich die Veranstalter aber etwas einfallen lassen, um diese Traditionsveranstaltung auch bei einer unsicheren Schneelage durchzuführen. Gestartet wird dann auf einer fünfzig Kilometer langen Strecke von Hinterzarten mit Ziel am Belchen. Eine Strecke, die konditionell ebenfalls sehr fordernd ist und mit der Kostloipe an der Hohtann zusätzliche Höhenmeter aufgebrummt bekommt. Das Risiko einer kompletten Rennabsage konnte somit deutlich minimiert werden, sodass das monatelange Training im Wettkampf gipfeln kann, wie es bereits 2017 und 2018 der Fall war.
„Vorbereitung
ist alles“
Wenn für den regulären Rucksacklauf um 7.00 Uhr der Startschuss in Schonach fällt sieht man hunderte Teilnehmer mit einem Rucksack in der Morgendämmerung davonziehen. Dieser gehört zum traditionellen Pflichtgepäck, ist aber kein Relikt aus vergangenen Tagen. Damals wie auch heute können die äußeren Bedingungen schnell wechseln. Sind es früh morgens am Start noch eisige Minusgrade, kann das Thermometer mittags in der Sonne auf deutlich über Null klettern.
Eine zweite Mütze, ein zweites Paar Handschuhe und eine Ersatzjacke sind erforderlich. Zudem ist Proviant sinnvoll und bringt das Marschgepäck auf die erforderlichen vier Kilogramm Gewicht.
Die Strecke windet sich vorbei an der Martinskapelle über die “Kalte Herberge“ auf den Thurner.
Bis hierhin hat sich spätestens die „Spreu vom Weizen“ getrennt. Vorne kann und will es nicht mehr nur ums reine Durchkommen gehen. Es wird um Positionen gekämpft, Windschatten ausgenutzt oder man lässt den Anderen die Spur freilaufen. Hinten wird ebenfalls gekämpft, das Zeitlimit bis Hinterzarten ist knapp bemessen. Wer es auf die 100 Kilometer abgesehen hat, der darf nicht viel Zeit verlieren. Ansonsten ist das Rennen nach 60 Kilometern mit dem kleinen Rucksacklauf beendet.
Dem Tachostand zu urteilen haben die Läufer hier schon deutlich über die Hälfte geschafft.
Spricht man jedoch mit erfahrenen Teilnehmern, so wird man schnell eines Besseren belehrt.
Ab jetzt geht das Rennen schließlich erst richtig los! Von Hinterzarten führt es stetig bergauf. Auf den höchsten Punkt im Schwarzwald, den Feldberg zu gelangen, wird kompliziert. Ab dem Rinken führt ein schmaler Schneeschuhwanderweg steil hoch in den Grüblesattel zwischen Gipfel und Seebuck.
Spätestens jetzt ist Kondition und ein guter Stieg erforderlich.
Der Lauf, der seine Tradition in der klassischen Technik hat, ist auch ein Lauf gegen die sich verändernden Schneeverhältnisse. Wechselhafte Bedingungen machen ein Nachwachsen der Steigzone nötig. Das Wachsen der Steigzone – gefühlt ein Relikt aus vergangener Zeit – ist auch heute noch angesagt und gängige Praxis. Erfahrung und Zauber entscheiden über einen „guten“ oder „schlechten“ Ski.
Kurz vor dem Notschrei erreichen die Läufer die Wegmarkierung über 80km. Das Schild hat über die Jahre ordentlich an Farbe verloren, dient dem Läufer aber immer noch als markante Wegmarke.
Die rasante Abfahrt zum Wiedener Eck ist schon fast das Finale. Aber Vorsicht! Ein gleichmäßiger Anstieg, dem häufig ein weiteres Nachwachsen vorrausgeht, zerrt nochmals an den Reserven der Teilnehmer. Das Ziel am kleinen “Gasthaus Multen“ unterhalb vom Belchengipfel, ist zum Greifen nahe…
Doch das Ende dieser langen Anstrengung wirkt dann überraschend nüchtern. Betreuer, die ihre Schützlinge sehnsüchtig erwarten, stehen im Zielbereich. Was die Langläufer aber in den vergangenen Stunden erlebt haben, das lässt sich nicht in Worte fassen. Es bleiben Erinnerungen, die sich ganz tief einbrennen. Jetzt kann sich das Sprichwort erfüllen. Der Baum kann gepflanzt und das Haus gebaut werden…
Auch in diesem Winter werden hoffentlich wieder Legenden entstehen und Heldinnen und Helden geboren. Der Mythos Rucksacklauf wird seine Tradition in einem der schönsten Langlaufgebiete der Welt fortsetzen.
Den Streckenrekord hält kein geringerer als Georg Thoma, der Olympiasieger der nordischen Kombination von 1960. Bereits 1982 stellte Thoma die bisher nicht geknackte Bestmarke von 5 Stunden und 51 Minuten auf.
Ein Sprichwort lautet: „Beende den Rucksacklauf, pflanze einen Baum, baue ein Haus, dann kannst du eine Familie gründen.“ In diesem Sprichwort steckt der Stellenwert, den die Schwarzwälder ihrem Langlaufrennen zumünzen. Es zeigt aber auch die Härte, dass ein Finishen nicht selbstverständlich ist.

Autor:
Sönke Wegner
Information:
Datum: 9. Februar 2019
Internet: www.fernskiwanderweg.de
Neuerdings kann man sich auch in der freien Technik (Skating) auf den Strecken werten lassen.