Projekt Beschreibung
schwer
138,4 km
3 Tage
3844 hm
3844 hm
Plopp. Zisch. „Ahh.“ Sven nimmt einen tiefen Schluck eiskalten Radlers aus der Flasche, grinst dann zufrieden und wackelt dazu mit den nackten Zehen: „Endlich die Füße lüften. Hat ja lange genug gedauert.“ Über unseren Köpfen rauschen Fichtenwipfel sacht im Wind und direkt vor unseren Augen entfaltet sich wie auf einer Großbildleinwand das grandiose Panorama der Todtnauberger Höhenzüge, untergehende Sonne und grasend Pferde auf lauschiger Almwiese inklusive. Und diese Stille!
Genau so hatten wir uns den Bikepackingtrip ausgemalt. Unser Plan war: Möglichst wenig Plan, dafür möglichst leichtes Gepäck. Außerdem tolle Landschaft und maximaler Bikegenuss. Das Prinzip ist ja bestechend einfach: Mit Schlafsack, Kocher und Bike durch den Hochschwarzwald. Verpflegung gibt es unterwegs beim Dorfbäcker oder in Hofläden. Ein bisschen Schwarzwaldwildnis, ein bisschen Abenteuer. Fahren, bis die Beine brennen und dann ein Lager für die Nacht finden. Vor einer lauschigen Schutzhütte den Tag ausklingen lassen und, wenn es nicht regnet, schlafen unterm Sternenzelt . . .
Klingt verdammt gut! Aber selbst ein Schmalspurplan braucht Vorbereitung: Karten hatten wir studiert und die Wettervorhersage. Das Gepäck bis aufs letzte Gramm perfekt abgestimmt, die Bikes frisch gewartet. Und fit waren wir auf den Punkt. Bloß die Dorfjugend von Todtnauberg, die hatten wir nicht auf dem Schirm. Doch eins nach dem anderen . . .
Neun Stunden früher, Höllentalbahn. Die schwer bepackten Bikes klemmen im Abteil zwischen zwei Rennrädern und einem Schwung e-Bikes. In Neustadt wollen wir unseren Dreitagestrip durch den Hochschwarzwald starten. Einfach loskurbeln. Aber nicht der Nase nach, sondern den gelb-blauen Schildern des Hochschwarzwald-Gipfeltrails hinterher. Praktisch: So müssen wir uns wenigstens über die Route keine Gedanken machen.
Fast 140 km Kilometer ist die ausgeschilderte Strecke lang, wir haben sie auf drei Tagesetappen aufgeteilt. Den Rest nehmen wir, wie es kommt. Hauptsache den ganzen Tag draußen sein auf den Rädern. Der Hirschsprung huscht am Zugfenster vorbei, dann Titisee. Als wir die Bikes am späten Vormittag am Neustädter Bahnhof aus dem Zug wuchten, brennt die Sonne bereits vom tiefblauen Himmel. Und gart uns schon auf den ersten Metern so richtig durch.
Alles, was wir in den nächsten beiden Tagen brauchen, steckt jetzt in den Packrollen an Lenker und Sattelrohr. Schlafsack, Isomatte, ein Kanten Käse, duftende hartgeräucherte Bauernbratwürste, ein Stück Brot, leichte Wechselklamotten für die Nacht. Minimalistischer geht es kaum, aber das Zusatzgewicht spüren wir trotzdem. Es geht nämlich erst einmal richtig steil bergauf. Die Räder wanken.
Doch nach nur zwei Kilometern im Sattel ist es so, als habe jemand einen Schalter umgelegt: Vergessen der Alltagsstress. Dafür zieht uns der dichte Wald mit seinen Geräuschen und Düften in seinen Bann. Kleine Steinchen knistern unter den Stollenreifen, wir inhalieren den harzigen Duft frisch gefällter Bäume und das erdige Aroma des Waldes.
Schöner geht es kaum? Doch: Vor uns entrollt sich ein feiner Trail. Dunstig grün brechen die Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach, und zwischen den mächtigen Bäumen verliert sich der schmale Pfad im Wald. „Hätt‘ ich nicht gedacht, dass der Gipfeltrail so schön ist“, keucht Sven herüber. Und ich muss an unser Gespräch vor ein paar Tagen denken, als wir am Küchentisch unseren Wochenend-Kurztrip geplant hatten. Den besten Ruf habe der Gipfeltrail ja nicht gerade unter Bikern, hatte mein Bikepartner da zu bedenken gegeben, zumindest nicht unter Liebhabern schmaler Pfade: „Kaum Gipfel, wenige Trails, viele Forstwege.“ Aber für uns genau das richtige, denn allzu anspruchsvolle Techniktrails würden mit Gepäckrolle am Lenker und prall gefüllter Bikepackingtasche am Sattel einfach nicht viel Spaß machen, sagte Sven: „Und bergauf schonmal gar nicht.“
Jetzt aber rollen wir über einen überraschend abwechslungsreichen Streckenmix aus Pfaden und Forstwegen – erst in Titisee hält der Gipfeltrail eine echte mentale Herausforderung bereit: Unzählige Reisegruppen verstopfen die Touristenschneise zwischen Kitschbuden, brechend vollen Kirschtorten-Cafés und dem Seeufer. Doch den Spuk lassen wir schnell hinter uns und tauchen kurz darauf wieder in den Wald ein Richtung Hinterzarten und Rinken.
Die Strecke scheint wie gemacht für unser Vorhaben: Breitere Waldwege zum Pedalieren, Strecke machen oder einfach mal Luft holen. Dazu immer wieder Panoramen, wenn sich der Wald öffnet, und – wie das berühmte Salz in der Suppe – hin und wieder ein Stückchen Singletrail. Diese sind zum Glück nicht zu technisch, denn die breite Rolle am Lenker schränkt die Sicht auf den Untergrund und auch das Lenkverhalten tatsächlich etwas ein. Und als ich kurz darauf an einer steilen Rampe bergab den Körperschwerpunkt wie gewohnt hinter den Sattel bringen will, bleibt der Hintern auf halbem Weg an der Tasche hängen.
So kurbeln wir gut gelaunt allein durch die einsamen Wälder und treffen kaum einen Menschen. Zwischen Spähnplatz und Rinken rauschen wir einen Traumtrail hinab, der leider viel zu schnell endet. Doch kurz darauf lauert ein weitere kniffliger Trail: weicher Waldboden, garniert mit Wurzeln, dazu Granitbrocken, dichtes Unterholz links und rechts und Heidelbeerpolster. Wunderschön – aber leider bergauf. „Da mit Taschen hochzufahren, ist echt ein Kunststück“, meint Sven, als wir mit brennenden Oberchenkeln am Raimartihof ankommen.
Erstmal einkehren! Sven verschwindet in der Bauerngaststätte mit dem mächtigen Walmdach aus Holzschindeln – und kommt kurz darauf mit einem voll beladenen Tabletts zurück. Darauf klappern Schüsseln mit Gulaschsuppe und zwei alkoholfreie Weizen, dazu frisches, knuspriges Bauernbrot. Welch‘ ein Genuss! Den Energienachschub brauchen wir jetzt auch, denn die wahre Muskelprobe steht uns jetzt unmittelbar bevor: Die Gulaschsuppe schwappt noch im Magen, als wir das steile Seesträßle zum Feldberg raufkurbeln.
Der Gipfeltrail führt leider auf einem gut ausgebauten Panoramaforstweg in einem großen Bogen am Feldberggipfel vorbei. Den kurzen Abstecher auf den 1493 Meter hohen Gipfel lassen wir uns nicht entgehen. Oben genießen wir den Weitblick und die Ruhe – und bleiben dann ratlos vor einem Verbotsschild für Radler stehen. Eigentlich würde der Trail direkt bergab führen zur St. Wilhelmer Hütte: „Lust hätte ich ja schon,“ meint Sven, blickt dann auf unsere schweren Taschen und die beiden grimmig dreinblickenden Wanderer, die gerade den Weg heraufstapfen: „Ok, Gründe genug für die offizielle Strecke“, grinst er. Die ist zwar fahrtechnisch nicht so aufregend, aber die Bergpanoramen machen‘s mehr als wett.
Die Abfahrt am Stübenwasen ist rasant, doch eine Schafherde bremst uns aus. Der Schäfer, ein grobknochiger Hüne mit Hut und altdeutschem Schäferhund, ist neugierig: „Wo gahts na?“, will er wissen. Wir erklären unseren Plan. „Reschpekt“, meint er dann, „die meischte hier hen ja e Motor dabei.“ Und für die Nacht . . . er kenne da eine lauschige Hütte am Schweinebühl, ganz in der Nähe.
Hätten wir mal auf ihn hören sollen . . . aber wir kurven weiter: Notschrei, dann Trubelsmattkopf, bis wir fast nicht mehr können. Eine idyllisch gelegene Hütte taucht auf – verheißungsvoll schön in einem abgeschiedenen Hochtal gelegen. Sven steigt vom Rad und schaut hinein: „Voller Vogelkacke“, meint er. Also weiter. Langsam machen sich die gut 50 Tageskilometer und vor allem die fast 1500 Höhenmeter bemerkbar – hoffentlich finden wir noch was für die Nacht! Doch gerade, als sich erste Zweifel melden, finden wir das Paradies: Eine lichte Grillhütte oberhalb von Todtnauberg. Drinnen reichlich Platz für die Schlafsäcke, draußen eine Quelle, schöner Blick. Weiden, Berge, Ruhe!
Den Staub des Tages waschen wir am Brunnen ab, ziehen trockene Wechselklamotten an und holen das Vesper aus der Tasche. Jetzt Essen und Sonnenuntergang genießen! Grillen zirpen, Vögel kreisen am Himmel. Dann kommt die Dorfjugend. In zwei Autos angerauscht von unten aus dem Tal: Bierkisten und Grillkohle werden aus dem Kofferraum geladen, Musik wummert. „Hi“, grüßt einer höflich. Irgendwas mit Geburtstagsparty nuschelt ein anderer. Und dass gleich noch ein paar mehr kommen.
Sven schaut mich an. Wir schauen auf die Karte. Weiter oben, ist das nicht noch eine Hütte? Sven nickt. Ich nicke zurück. Wir packen, wünschen eine gute Party – und ziehen weiter. Die netten Jugendlichen schenken uns zum Abschied zwei Radler. Eisgekühlt, immerhin.
Keine 500 Meter weiter, einen schmalen Pfad bergauf stoßen wir auf eine kleine Bretterbude: „Hornshittli“ steht über der Tür, weil der Berg direkt oberhalb Horn heißt. Der Fußboden ist uneben, aber zu zweit könnten wir uns im Notfall da reinquetschen. Aber es regnet nicht und neben der Hütte stehen zwei geschwungene Panoramaliegen im Wald: Das perfekte Nachtlager!
Die Bikes lehnen wir an die Bäume und richten uns ein: Isomatten und Schlafsäcke auf die Bänke, die Füße hoch: Plopp, Zisch – wir genießen das kühle Radler und den weiten Blick auf die sanft gerundeten Schwarzwaldgipfel. Sanftes, goldenes Abendlicht flutet die Almweiden, in der Ferne ragt das Hasenhorn auf. Als wir in die Schlafsäcke kriechen, kommen die Sterne raus. Es knackt und raschelt im Wald ringsum. In unserem Lager auf 1200 Metern Höhe fühlen wir uns der Natur rundherum viel näher, als von den Bretterwänden einer Hütte geschützt: „War echt ein Volltreffer“, murmelt Sven noch, bevor wir beide wegdämmern. Ob wir morgen auch so einen feinen Platz im Freien finden?
Startpunkt der Tour:
Bahnhof Neustadt
Geeignete Jahreszeit:
April – Oktober
Anreise mit dem Auto:
Auf Google Maps ansehen

Autor:
Schwarzwald-Outdoor | Gastautor Patrick Kunkel
Tipp:
Unterschätze nicht das Gewicht Deiner Übernachtungsausrütung am Rad. Das macht die Anstiege etwas „sportlicher“.